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  • AutorenbildÜber Kunst und die Welt - JuMoRa

Der Gyrus Fusiformis ...

... oder was Portraitzeichnen so schwierig macht.


Es kamen auch schon Leute zu mir, die sinngemäß sagten:" Hey, könntest du vielleicht ein Portrait von meinem Schwager malen? Der hat nämlich bald Geburtstag. Einfach so ne schnelle Zeichnung, braucht nichts Besonderes zu sein. Er hat so braune Haare, verstehste, so lockig, und eine Nase, die hat da so einen Knick... achja, und braune Augen, und irgendwie so Hängebacken, meinst du, du kriegst das hin?"

Nun, um mal aus Shakespeares Hamlet, Akt IV, Szene 5, Vers 28 zu zitieren: "Nein."

Das kriege ich nicht hin. Wie auch? Ich kann vielleicht zeichnen, aber doch nicht zaubern.

 



Einer meiner großen Idole ist - unter anderen - Mort Drucker.

Ihn werden die wenigsten kennen, und wenn ich schwärme, dass er zu den besten Cartoonisten Amerikas gehört, ja, dass er vielleicht sogar der beste Karikaturist der Welt ist, dann wird so mancher wahrscheinlich abwinken und despektierlich denken: "Achso, ein Comic-Zeichner."

Klar. Einen Comiczeichner kann man ja nicht ernst nehmen. Der malt ja auch nix Ernsthaftes, also kann auch seine Kunst nicht seriös ein. Graffiti an Hauswänden, gut, das ist was anderes, das ist spätestens seit Jean-Michel Basquiat in der Kunstwelt etabliert. Aber diese Witzzeichnungen für irgendwelche Satireheftchen.... Darf sich so einer überhaupt Künstler nennen? Ich finde: Er darf. Mort Drucker jedenfalls, der darf das. Und wie!

 

Die Königsdisziplin der Königsdisziplinen

 

Portraits zu zeichnen ist für mich die Königsdisziplin. Und Karikaturen zu zeichnen ist für mich sozusagen die Königsdiszplin der Königsdisziplin.

Immerhin weiß ich inzwischen, wem wir Zeichner die Schwierigkeiten des Karikaturenzeichnens zu verdanken haben: Nämlich dem Gyrus fusiformis.

Das ist nicht etwa ein griechisches Fleischgericht, sondern ein ganz bestimmtes Hirnareal. (Ich erkläre gleich, was es damit auf sich hat).

Doch zuerst einmal: Was ist denn an Portraits so besonders?

Macht das denn einen Unterschied, ob man ein Gesicht zeichnet oder eine Landschaft?

 

Wenn aus einem interessierten Auge ein schläfriges wird

 

Allerdings. Wenn ich nämlich bei einem Baum einen Ast statt im 45° Winkel fälschlicherweise im 50° Winkel zeichne, dann spielt das für die Gesamtwirkung keine Rolle, es ist immer noch dieselbe Linde, Eiche oder Buche. Nur denen, die den Baum wirklich in- und auswendig kennen, wird es überhaupt auffallen. Anders bei einem Gesicht. Wenn ich da eine Augenbraue, einen Mundwinkel nur um ein Grad nach oben oder nach unten verschiebe, kann sich unter Umständen der ganze Gesichtsausdruck ändern. Aus einem interessierten Auge kann ein schläfriges werden, aus einem freundlichen Mund ein verkniffener. Mehr noch als das: Plötzlich ist es nicht mehr Petra, Karin oder Gisela sondern "nur" noch irgendeine Frau um die fünfzig. Woran liegt das?

 

Warum auf Geldscheinen bevorzugt Portraits verwendet werden

 

Der Unterschied liegt darin, dass wir Gesichter noch auf eine andere Art erkennen, als alle anderen Dinge, d.h. wir haben ein Gehirnareal, das nur dafür zuständig ist: Für das Erkennen von Gesichtern. Eben den Gyrus Fusiformis. Ist diese Hirnregion etwa durch einen Unfall beschädigt worden, erkennt der betreffende Mensch die Gesichter seiner Verwandten und Bekannten nicht mehr wieder, bei besonders schweren Fällen erkennt er sogar sein eigenes Gesicht im Spiegel nicht mehr. Die Wissenschaftler nennen das „Prosopagnosie“: Nichterkennen von Gesichtern (griech.: Prosopon/Gesicht, Agnosia/Unfähigkeit des Erkennens).

Es ist kein Zufall, dass für Geldscheine gerne Portraits genommen werden: Sie sind am Schwierigsten zu fälschen.

 

Prosopagnosie - die Unfähigkeit, Gesichter wieder zu erkennen

 

Doch wie arbeitet der Gyrus Fusiformis? An was macht er die Ähnlichkeit fest? Die Form allein kann es jedenfalls nicht sein, denn wir können Gesichter ja selbst dann noch wiedererkennen, wenn das Alter die Formen verändert hat, wenn Falten hinzugekommen sind, wenn Wangen eingefallen oder fülliger geworden sind, Lider schwerer, Lippen dünner.

Wir können einen Menschen jahrelang nicht sehen und doch erkennen wir sein Gesicht wieder, wenn er vor uns steht. Auch wenn es dicker oder dünner geworden ist, blass oder gebräunt ist, ein paar Runzeln mehr hat, eine Brille oder ein Bart hinzugekommen sind.

Und auch die Mimik stellt kein Problem für uns da: Egal ob der Mund zu einem breiten Grinsen verzogen ist oder sich ganz klein macht, egal ob die Augen weit aufgerissen sind oder sich blinzelnd verengen, egal aus welcher Perspektive wir es sehen, ob von rechts oder links, ob von oben oder unten - es ist dasselbe Gesicht, das wir vor uns haben, wir erkennen es, gar kein Problem.

An den Formen von Auge, Nase, Mund, Wangen kanns also nicht liegen. Aber an was denn sonst?


Es gibt nirgendwo eine Schule, eine Lehre oder ein Studium, wo man zum Karikaturisten ausgebildet wird. Noch nicht einmal die Wissenschaft weiß genau, wie der Gyrus fusiformis wirklich funktioniert. Und ich denke, auch Mort Drucker weiß es wahrscheinlich nicht, obwohl keiner Ähnlichkeit so treffsicher hinbekommt wie er. Würde man ihn fragen, wie man den Gyrus fusiformis trainieren kann, bzw. ob das überhaupt möglich ist, hätte er vermutlich auch kein Patentrezept. Außer vielleicht dem Rat "genau hinzusehen".


Wahrscheinlich gibt es auch deshalb keine Schule für Karikaturisten. Es gibt Schulen für Grafiker und für Designer, für Maler und für Modezeichner, es gibt Kurse für Anatomie und Akt, für Portrait und figürliches Zeichnen. Aber es gibt nirgendwo eine Schule, eine Lehre oder ein Studium, wo man zum Karikaturisten ausgebildet wird, jedenfalls nicht dass ich wüsste. Weil man es nicht lehren kann.



 

Versuch und Irrtum

 

Ich selbst könnte auch nicht sagen, wie ich dabei vorgehe, wenn ich ein Portrait oder eine Karikatur erstelle, worauf ich achte, was ich dabei denke. Es ist unglaublich schwierig, das zu beschreiben, ähnlich wie wenn man beschreiben müsste, wie Einschlafen funktioniert. Es geschieht einfach. Vielleicht ist es sogar besser, wenn man nicht allzuviel darüber nachdenkt. Es ist, wie wenn sich das Gehirn in einem anderen Modus befindet. Wahrscheinlich ist der Gyrus Fusiformis aufs Höchste aktiviert. Leider ohne dass er einem sagen kann, was er da eigentlich gerade macht. Das heißt, für mich bleibt nur ein ständiges Ausprobieren, ein bißchen was von Versuch und Irrtum, etwa so: "Okay, diese Augenbraue etwas höher, noch etwas höher, ja, jetzt wirds langsam ähnlich, noch etwas höher, halt, nein, das war zuviel, wieder etwas runter, ja, so ist es gut." Ab wann wird ein Bild dem Modell ähnlich? Es ist ein ewiges Probieren und Schauen, ein ständiges Vergleichen und Verbessern. Und manchmal, so scheint es, ist auch eine Spur Glück dabei.Auf dem Montmartre rissen sich die Karikaturisten darum, meinen Vater zeichnen zu dürfenEs gibt nur wenige Menschen, die ich so in- und auswendig kenne, dass ich sie "aus dem Kopf" malen könnte. Mein lieber Vater zum Beispiel, der war so einer. Ein Charakterkopf, in jeder Hinsicht. Erinnerte ein wenig an Albert Einstein. Haare, Schnurbart, dazu noch eine Brille und die entsprechenden Furchen im Gesicht... ich hab sein Gesicht nicht nur als Tochter geliebt, sondern auch als Zeichnerin. Und das ging offenbar nicht nur mir so: Als wir mal zusammen auf dem Montmartre waren, rissen sich die Künstler förmlich darum, ihn zeichnen zu dürfen. Ich war damals noch ein Kind, aber daran kann ich mich noch genau erinnern.Schade nur, dass es kein Patentrezept gibt, keine Garantie, wie so eine Zeichnung nun gelingen kann. Das wäre so schön! Aber nein, man hat so gar nichts in der Hand, außer, dass man sich eben konzentrieren und genau beobachten muss. Hat es mit Übung zu tun? Mit nie endender Sorgfalt? Mit Talent? Ich weiß es nicht.Und ich weiß nicht mal, wie das bei Mort Drucker ist. Ob jede seiner Zeichnungen so gut gelingt? Ob er auch Ausschuss produziert? Oder ob sein Gyrus Fusiformis einfach super durchtrainiert ist? Keine Ahnung.Er ist, was das betrifft, in meinen Augen einfach unerreicht. Aber wie langweilig wäre die Welt, wenn es keine Idole gäbe, denen man nacheifern könnte ...re Art und Weise wieder, offenbar war das in unserer Evolution so wichtig, dass wir dafür extra ausgerüstet wurden. Was aber bedeutet das für den Zeichner? Es bedeutet, dass es dadurch noch schwieriger wird, ein Portrait zu zeichnen, denn das Publikum hat noch ein weiteres Werkzeug zur Verfügung, mit dem es erkennt ob Ähnlichkeit vorhanden ist oder nicht, als beispielsweise bei einer Landschaft oder einem Stillleben.

 

Wie entsteht Ähnlichkeit?

 

Doch wie arbeitet der Gyrus Fusiformis?

An was macht er die Ähnlichkeit fest?

Die Form allein kann es jedenfalls nicht sein, denn wir können Gesichter ja selbst dann noch wiedererkennen, wenn das Alter die Formen verändert hat, wenn Falten hinzugekommen sind, wenn Wangen eingefallen oder fülliger geworden sind, Lider schwerer, Lippen dünner.

Wir können einen Menschen jahrelang nicht sehen und doch erkennen wir sein Gesicht wieder, wenn er vor uns steht. Auch wenn es dicker oder dünner geworden ist, blass oder gebräunt ist, ein paar Runzeln mehr hat, eine Brille oder ein Bart hinzugekommen sind.

Und auch die Mimik stellt kein Problem für uns da: Egal ob der Mund zu einem breiten Grinsen verzogen ist oder sich ganz klein macht, egal ob die Augen weit aufgerissen sind oder sich blinzelnd verengen, egal aus welcher Perspektive wir es sehen, ob von rechts oder links, ob von oben oder unten - es ist dasselbe Gesicht, das wir vor uns haben, wir erkennen es, gar kein Problem. An den Formen von Auge, Nase, Mund, Wangen kanns also nicht liegen.

Aber an was denn sonst?

 

Es gibt nirgendwo eine Schule, eine Lehre oder ein Studium, wo man zum Karikaturisten ausgebildet wird.

 

Noch nicht einmal die Wissenschaft weiß genau, wie der Gyrus fusiformis wirklich funktioniert. Und ich denke, auch Mort Drucker weiß es wahrscheinlich nicht, obwohl keiner Ähnlichkeit so treffsicher hinbekommt wie er.

Würde man ihn fragen, wie man den Gyrus fusiformis trainieren kann, bzw. ob das überhaupt möglich ist, hätte er vermutlich auch kein Patentrezept.

Außer vielleicht dem Rat "genau hinzusehen". Wahrscheinlich gibt es auch deshalb keine Schule für Karikaturisten. Es gibt Schulen für Grafiker und für Designer, für Maler und für Modezeichner, es gibt Kurse für Anatomie und Akt, für Portrait und figürliches Zeichnen. Aber es gibt nirgendwo eine Schule, eine Lehre oder ein Studium, wo man zum Karikaturisten ausgebildet wird, jedenfalls nicht dass ich wüsste. Weil man es nicht lehren kann.

 

Versuch und Irrtum

 

Ich selbst könnte auch nicht sagen, wie ich dabei vorgehe, wenn ich ein Portrait oder eine Karikatur erstelle, worauf ich achte, was ich dabei denke. Es ist unglaublich schwierig, das zu beschreiben, ähnlich wie wenn man beschreiben müsste, wie Einschlafen funktioniert. Es geschieht einfach. Vielleicht ist es sogar besser, wenn man nicht allzuviel darüber nachdenkt. Es ist, wie wenn sich das Gehirn in einem anderen Modus befindet. Wahrscheinlich ist der Gyrus Fusiformis aufs Höchste aktiviert. Leider ohne dass er einem sagen kann, was er da eigentlich gerade macht. Das heißt, für mich bleibt nur ein ständiges Ausprobieren, ein bißchen was von Versuch und Irrtum, etwa so: "Okay, diese Augenbraue etwas höher, noch etwas höher, ja, jetzt wirds langsam ähnlich, noch etwas höher, halt, nein, das war zuviel, wieder etwas runter, ja, so ist es gut."

Ab wann wird ein Bild dem Modell ähnlich? Es ist ein ewiges Probieren und Schauen, ein ständiges Vergleichen und Verbessern. Und manchmal, so scheint es, ist auch eine Spur Glück dabei.

 

Auf dem Montmartre rissen sich die Karikaturisten darum, meinen Vater zeichnen zu dürfen

 

Es gibt nur wenige Menschen, die ich so in- und auswendig kenne, dass ich sie "aus dem Kopf" malen könnte. Mein lieber Vater zum Beispiel, der war so einer. Ein Charakterkopf, in jeder Hinsicht. Erinnerte ein wenig an Albert Einstein. Haare, Schnurbart, dazu noch eine Brille und die entsprechenden Furchen im Gesicht... ich hab sein Gesicht nicht nur als Tochter geliebt, sondern auch als Zeichnerin. Und das ging offenbar nicht nur mir so: Als wir einmal zusammen auf dem Montmartre waren, rissen sich die Künstler förmlich darum, ihn zeichnen zu dürfen. Ich war damals noch ein Kind, aber daran kann ich mich noch genau erinnern.


Schade nur, dass es kein Patentrezept gibt, keine Garantie, wie so eine Zeichnung nun gelingen kann. Das wäre so schön! Aber nein, man hat so gar nichts in der Hand, außer, dass man sich eben konzentrieren und genau beobachten muss. Hat es mit Übung zu tun? Mit nie endender Sorgfalt? Mit Talent? Ich weiß es nicht.

Und ich weiß nicht mal, wie das bei Mort Drucker ist. Ob jede seiner Zeichnungen so gut gelingt? Ob er auch Ausschuss produziert? Oder ob sein Gyrus Fusiformis einfach super durchtrainiert ist? Keine Ahnung. Er ist, was das betrifft, in meinen Augen einfach unerreicht. Aber wie langweilig wäre die Welt, wenn es keine Idole gäbe, denen man nacheifern könnte ...


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