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AutorenbildBildergeschichten - JuMoRa

Der Nök


Es gibt Gedichte, die inspirieren mich schon beim allerersten Durchlesen und begleiten mich dann oft jahrelang.

„Begegnung“ von Heinrich Heine ist so eines. Es ist wunderschön bildlich, und obwohl es uralte Mythen bedient, wirkt es nicht etwa verstaubt und altbacken, sondern leichtfüßig und keck, ja, man könnte sogar sagen: emanzipiert.


Es handelt vom Nök, dem Wassermann, der sich ab und an unter die Menschen begibt, um sich eine Dorfschönheit zu angeln. Als schöner Jüngling mischt er sich unter die Tanzenden und hält Ausschau nach einer geeigneten Beute.

Aber eine erkennt ihn, eine hat ihn durchschaut, nämlich die Nixe, die ihrerseits (wahrscheinlich) mit ähnlichen Ambitionen unterwegs ist. Sie „schweben auf, sie schweben ab, in seltsam fremder Weise“ heißt es in dem Gedicht, sie tanzen zusammen und gäben ein wunderschönes Paar ab – wenn, ja, wenn sie einander nicht durchschauen würden. Sie erkennt sofort, dass an seinem Hut eine Neckenlilie schwankt, die „wächst nur tief in Meeresgrund“; und ihm entgeht genau so wenig, wie nass der Saum ihres Kleides ist. Darum währt ihre Begegnung auch nur einen einzigen Tanz lang, bevor sie sich einvernehmlich trennen, sie gehen auf Distanz und meiden sich fortan, um sich bei ihren geplanten Eskapaden nicht ins Gehege zu kommen.

„Distanz“ war auch das Thema einer Gemeinschaftsausstellung des Verein Bildende Kunst mit dem Schopfheimer und dem Weiler Kunstverein.



 

ich wollte bewusst etwas malen, was eben nicht mit Corona zu tun hat

 

In Zeiten von Corona kommt dem Thema Distanz natürlich eine ganz besondere Bedeutung zu, und es lag auf der Hand, dass viele der beteiligten Künstler und Künstlerinnen genau darauf Bezug nehmen würden (gut möglich, dass das Thema auch gerade deshalb gestellt wurde, weil es so schön aktuell war). Aber ich wollte bewusst etwas malen, was eben nichts mit Corona zu tun hat, etwas was nicht so naheliegend war. Ich wollte weder die „böse“ Distanz thematisieren, die einsam macht, deprimiert oder auf die Nerven geht, noch die „gute“ Distanz, die schützt, solidarisch ist oder notwendig.

Ich wollte eine andere Distanz, eine ambivalente, geheimnisvolle, unerwartete, listige. Wie zwischen dem Nök und der Nixe.


Zugleich kann man das Thema auch auf den Betrachter, die Betrachterin selbst beziehen: Der Titel des Bildes lautet ja "Abgetaucht"* - und man kann sich vom Weltgeschehen, von der Hektik des Alltags auch insofern distanzieren, dass man in andere Welten abtaucht, Welten der Kunst, Literatur oder Musik.

(mittlerweile habe ich den Titel geändert, und den Namen genommen, der mir als erstes in den Sinn kommt, wenn ich an das Bild denke. Und das ist für mich ganz klar "Der Nök". Dann weiß ich sofort, welches Bild gemeint ist).


Die Farbe der Distanz, der Entfernung und Unendlichkeit ist Blau -

und Blau ist zugleich auch die Farbe des Geistes, des Übersinnlichen und der Phantasie. (Man denke an das Blau des Himmels, das "blaue Wunder", die Luftperspektive und an die blaue Blume der Romantik.)

Von daher war klar, mit welcher Farbe ich die Leinwand grundieren würde.

Auch die mondbeschienene Teichlandschaft, das geheimnisvolle Leuchten im See, die fremde Wasserwelt, in die der Nök seine Opfer zu ziehen pflegt, machten mir keine Mühe. So wenig wie die Uniziale, also die romanische Schrift, mit der ich Heinrich Heines Gedicht einem Tatoo gleich auf des Nöks Schultern schrieb und mit Sätzen daraus seine Haarsträhnen formte.


Aber sein Blick! Seinen Blick einzufangen, daran bin ich schier verzweifelt!


Und genau deshalb schreib ich hier diesen Bericht. Damit der geneigte Leser, die geneigte Leserin einmal sieht, mit was für Problemen wir Künstler*innen uns herumschlagen müssen!


1. Versuch 2. Versuch 3. Versuch


Hier seht Ihr dreimal das Gesicht des Nök. Und auf den ersten Blick wird Euch vielleicht nicht einmal ein Unterschied auffallen. Aber genau damit habe ich Stunden verbracht, während der Rest des Bildes fast nebenher ging.

 

Aber genau das wollte ich: Dass er uns mit seinem Blick fesselt! Und zwar egal von welcher Position aus wir auf das Bild schauen.

 

Die Schwierigkeit bestand in der Ambivalenz seines Blickes. Er sollte kühl schauen, aber doch intensiv. Interessiert, aber doch distanziert. Ein skeptischer Blick und zugleich ein Hauch - aber wirklich nur ein Hauch! - eines Lächelns.

Und das hat gedauert. Das hat verdammt lang gedauert.

Dabei gelang der erste Entwurf eigentlich gar nicht so schlecht, aber ich war nicht zufrieden. Der erste Nök war schön und geheimnisvoll, aber irgendwie zu unbeteiligt. Er schaut einen zwar an, aber sein Blick ist zu neutral, es fehlt das Wissende, das Intensive. Er sieht in unsere Richtung, aber er fixiert uns nicht. Aber genau das wollte ich: dass er uns mit seinem Blick fesselt! Und zwar egal von welcher Position aus wir auf das Bild schauen.

Doch dazu hätte die rechte Pupille um einen knappen Millimeter weiter nach rechts rutschen müssen und das untere Augenlid ein wenig nach oben. So etwas bedeutet immer ein enormes Risiko, und ich wäre es vielleicht nicht eingegangen, wenn mich nicht noch etwas anderes an seinen Augen gestört hätte: Nämlich die dunklen Augenringe. Eine Spur zu stark. Zu totenkopfmäßig.


Nun, wie heißt es so schön? No risk, no fun. Also allen Mut zusammen genommen und mich nochmal mit allen Sinnen diesen Wassermann-Augen gewidmet, auf dass sein Blick fesselnder würde. Und die linke Gesichtshälfte vielleicht ein wenig heller, damit sie sich vom dunklen Teich besser unterscheiden möge. So entstand dann das zweite Bild. Ich habe Pupille und Lid bearbeitet, Licht und Schatten angeglichen, und es dann mit der ersten Version, die ich fotografiert hatte, verglichen.

 

Neuer Versuch. Mit flauem Magen, aber ohne zittrige Hand. Die konnte ich mir nicht erlauben.

 

Und festgestellt: Es sieht scheiße aus. Super, Juli, jetzt hast du es vermasselt!

Jawoll, so versaut man sein Bild! Ganz toll. Boah, wie hab ich mich aufgeregt.

Der zweite Nök gefällt mir überhaupt nicht. Gut, er schaut direkter wie der erste, aber zu welchem Preis! Er hat seine Seele verloren, ist klinisch, steril und kalt. Ein nichtssagender Schönling. Hatte der erste Nök noch etwas Entrücktes in seinem Blick, was im Nachhinein gar nicht so uninteressant gewesen war, schaute der zweite einfach nur berechnend. Ich hätte heulen können.

Neuer Versuch. Mit flauem Magen, aber ohne zittrige Hand. Die konnte ich mir nicht erlauben.


Ich weiß nicht, inwieweit man dieses Risiko, diese Aufregung, diese Angst nachvollziehen kann.

Gut möglich, dass die Unterschiede außer mir gar niemandem auffallen. Oder völlig anders wahrgenommen werden. Ich kann nur sagen, dass ich gelitten habe, wirklich gelitten. Vielleicht kann das auch nur derjenige verstehen, der selber malt. Oder die.

 

Ein halber Millimeter, und schon scheint sein Blick zu fragen: "Na?"

 

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich habe dieses Entrückte des ersten Nökgesichts nicht wieder erreicht, leider. Und damit muss ich mich wohl abfinden.

Die erste Version enthält oft einen Zauber, den man später so nicht mehr hinkriegt.


Nichtsdestotrotz kann es die dritte Version mit der ersten aufnehmen, denn sie hat andere Vorzüge. Der Blick ist auf alle Fälle intensiver, und nicht nur das, er hat auch noch eine fragende Komponente hinzubekommen, dadurch, dass ich die linke Augenbraue ein kleines bißchen angehoben habe. Ich glaube, das war nicht mal ein halber Millimeter, aber es macht soviel aus. Ein halber Millimeter, und schon scheint sein Blick zu fragen: „Na?“. Nicht direkt flirtend, aber mit einer gewissen Herausforderung, die dafür sorgt, dass dieses Gleichgültige aus seinen Augen verschwindet.

Außerdem hatte ich mich entschlossen, die linke Gesichtshälfte doch wieder in den Schatten zu tauchen, nicht zuletzt um des Mundes willen. Der gefiel mir auf dem zweiten Bild nämlich ebenfalls nicht mehr. Er wirkte flach und nichtssagend.

 

Ein kühler Blick, aber ein sinnlicher Mund - Irgendwas muss so ein Nök schließlich haben, dass er die Schönen des Dorfes becircen kann.

 

Darum hab ich den Bogen der Oberlippe minimal verstärkt, das macht ihn sinnlicher. Ein kühler Blick, aber ein sinnlicher Mund – wenn das keine sexy Kombination ist! Irgendwas muss so ein Nök schließlich haben, dass er die Schönen des Dorfes becircen kann.

Auch wenn ihm Heinrich Heine „fischgrätige Zähne“ attestiert (was nicht nur bei ZahnärztInnen auf Befremden stoßen dürfte) – solange er den Mund geschlossen hält, hat er jedenfalls verdammt gute Chancen. Aber das ist bei vielen Menschen ja auch nicht anders....


Übrigens: Ich glaube, ich muss noch ein viertes Mal drüber. Ich bin immer noch nicht hundertprozentig zufrieden. Wenn es soweit ist, werde ich es natürlich hier reinstellen. (Es sei denn, jemand will es kaufen und genau so haben, wie es jetzt im Moment ist).


Vielleicht werde ich den Nök aber auch noch öfter in meinen Bildern auftauchen lassen. Und wie wohl eine Neckenlilie aussieht?

Man sieht, er inspiriert mich noch immer.....


 


Begegnung


Heinrich Heine (1797-1856)


Wohl unter der Linde erklingt die Musik,

Da tanzen die Burschen und Mädel,

Da tanzen zwei, die niemand kennt,

Sie schaun so schlank und edel.


Sie schweben auf, sie schweben ab,

In seltsam fremder Weise;

Sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,

Das Fräulein flüstert leise:


»Mein schöner Junker, auf Eurem Hut

Schwankt eine Neckenlilie,

Die wächst nur tief in Meeresgrund -

Ihr stammt nicht aus Adams Familie.


Ihr seid der Wassermann, Ihr wollt

Verlocken des Dorfes Schönen.

Ich hab Euch erkannt, beim ersten Blick,

An Euren fischgrätigen Zähnen.«


Sie schweben auf, sie schweben ab,

In seltsam fremder Weise,

Sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,

Der Junker flüstert leise:


»Mein schönes Fräulein, sagt mir, warum

So eiskalt Eure Hand ist?

Sagt mir, warum so naß der Saum

An Eurem weißen Gewand ist?


Ich hab Euch erkannt, beim ersten Blick,

An Eurem spöttischen Knickse -

Du bist kein irdisches Menschenkind,

Du bist mein Mühmchen, die Nixe.«


Die Geigen verstummen, der Tanz ist aus

Es trennen sich höflich die beiden.

Sie kennen sich leider viel zu gut,

Suchen sich jetzt zu vermeiden.




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